Biodiversitätsinitiative

Agrobiodiversität

Die Agrobiodiversität – die Vielfalt der Nutzpflanzen und Nutztiere – ist als Grundlage für vielfältige Produktionssysteme und für die Züchtung unsere Versicherung für die Zukunft. Sie ist unerlässlich, um auf heutige und kommende Herausforderungen reagieren zu können. Gleichzeitig ist die Agrobiodiversität wichtiger Bestandteil einer nachhaltigen Landwirtschaft sowie ein Hort für die wilde Biodiversität.

Die Vielfalt ist in Gefahr

Von 6000 Pflanzenarten, welche als Nahrungsmittel kultiviert wurden, liefern heute nur noch drei Arten die Hälfte aller pflanzlichen Nahrungskalorien: Reis, Mais und Weizen. Gemäss einer Schätzung der FAO haben wir im 20. Jahrhundert weltweit 75 Prozent der Kulturpflanzenvielfalt verloren.

Weltweit wird heute 40 Prozent des kommerziellen Saatguts von zwei Firmen (Bayer und Corteva) verkauft. Nimmt man noch Syngenta/Chemchina und BASF dazu, haben vier Firmen 50 Prozent Marktanteil. Diese vier Firmen sind zugleich MarktfĂĽhrer bei den Pestiziden, wo sie ĂĽber 60 Prozent des Marktes kontrollieren.

In der Schweiz decken von den hunderten von Birnensorten nur gerade 5 Sorten 80 Prozent der Produktion ab, dasselbe gilt für rote Trauben. Beim Hartweizen werden auf der gesamten Produktionsfläche nur 3 Sorten angebaut. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft und die Konzentration der Zucht wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer weniger Nutztierrassen und -Pflanzensorten züchterisch substanziell weiterentwickelt.

In Nordamerika und Europa sind heute 60 bis 90 Prozent aller Milchkühe Holstein-Rinder. Durch diese Entwicklung fielen auch in der Schweiz diverse regionaltypische Schweizer Rassen aus der landwirtschaftlichen Produktion und wären ohne Unterstützung vom Aussterben bedroht. Darunter vor allem auch robuste und extensive Landrassen, die heute in alternativen und resilienten System wieder gefragt sind.

Treibende Kräfte des Verlusts

Gemäss der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften sind die wichtigsten Treiber des Verlustes der Agrobiodiversität unter anderem:

Um dem Trend entgegenzuwirken, müssen insbesondere Kleinbäuer:innen und Gärtner:innen unterstützt werden, welche die Agrobiodiversität erhalten und weiterentwickeln. Oft sind dies Landwirt:innen, die in agrarökologischen Systemen und auf kleinen Anbauflächen arbeiten und mit Hofläden oder Direktvermarktung eine enge Verbindung zu den Konsument:innen haben.

Wir brauchen die Vielfalt als Rückversicherung für die Zukunft …

Der Erhalt der Agrobiodiversität ist ein Grundstein der globalen Ernährungssicherheit. Die vielfältigen Eigenschaften der alten Sorten und Rassen sind gleichbedeutend mit einem breiten Genpool, auf den man bei Bedarf zurückgreifen kann. Spezielle Eigenschaften können wieder gefragt sein wegen neu auftretender oder sich stärker ausbreitenden Krankheiten sowie als Antwort auf Klimaveränderungen oder neue Konsumentenbedürfnisse.

Die Verwendung von alten Pflanzensorten in der modernen Züchtung ist vielfältig und hat immer wieder zu wichtigen Zuchtfortschritten geführt. So hat eine Pflanzensorte vom Sempachersee aufgrund ihrer Schwarzrost-Resistenz in den 1940er-Jahren den Gerstenanbau in Nordamerika gerettet. Aber auch in der aktuellen Schweizer Apfelzüchtung nutzt man die genetische Basis alter inländischer Apfelsorten wie z.B. dem Wehntaler Hagapfel, der sich als sehr robust gegen Schorf, Mehltau und Marssonina erwiesen hat. Der Nutzen der Vielfalt für die landwirtschaftliche Produktion, unsere Versorgungs- und Ernährungssicherheit ist von unschätzbarem Wert.

… und für eine nachhaltige Landwirtschaft

Die Beschränkung auf wenige Arten und Sorten und deren Anbau in Form von grossen Monokulturen macht die Landwirtschaft anfällig für Krankheiten und klimabedingte Ausfälle. Deshalb gilt es die Vielfalt auf den Feldern zu erhöhen, um die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit unserer Landwirtschaft zu verbessern, was letztlich zu einem geringeren Pestizidverbrauch und nachhaltigeren Agrarökosystemen beiträgt.

Die Förderung der landwirtschaftlichen Vielfalt geht mit der Förderung einer einheimischen Züchtung und Saatgutproduktion Hand in Hand. Denn es sind unsere Züchter:innen, welche eine Vielfalt von angepassten Sorten zur Verfügung stellen. Alte Tierrassen eignen sich für eine extensive Tierhaltung, bei welcher die Tiere ressourcenschonend mit hofeigenem Gras und Heu gefüttert werden statt mit Kraftfutter. Sie leben länger und brauchen weniger oft den Tierarzt, was auch den Bauern und die Bäuerin freut. Und schliesslich bietet eine diversere Landwirtschaft auch ein diverseres und somit ausgewogeneres und gesünderes Nahrungsmittelangebot.

Die Agrobiodiversität hat einen positiven Einfluss auf die gesamte Biodiversität

Anhand der Diversität von Obstbäumen kann gut aufgezeigt werden, wie diese die gesamte Biodiversität fördern kann. Beispielsweise weist die Borke bei verschiedenen Sorten unterschiedliche Strukturen auf und bietet dadurch einen Lebensraum, welcher mehr Arten beherbergen kann als Plantagen mit einer einzigen Sorte. Durch die reichere Phänologie (unterschiedlicher Zeitpunkt von Blüte, Blattaustrieb und –fall) entsteht ein ausgedehnteres Nahrungsangebot, welches die Grundlage einer hohen Biodiversität ist. Auf diese Weise wird eine grosse Anzahl von Kleinlebewesen unter anderem von Bestäubern gefördert, was wiederum der produzierenden Landwirtschaft zugutekommt.

WeiterfĂĽhrende Websiten und Links

Schweizerische Kommission für die Erhaltung von Kulturpflanzen (SKEK), ein Schweizer Netzwerk von Organisationen, Expertinnen und Experten, die im Bereich der Erhaltung von phytogenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (PGREL) tätig sind.

Auf der Website von ProSpecieRara findet man unzählige Projekte zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der Agrobiodiversität, Hinweise zu Veranstaltungen und via Sortenfinder einen direkten Zugang zu tausenden alten Nutzpflanzensorten: zu deren Saat- und Pflanzgut ebenso wie zu einer Vielzahl an Informationen zu Geschichte, Anbau und Vermehrung.

Public Eye und ProSpecieRara: Saatgut – Bedrohte Vielfalt im Spannungsfeld der Interessen

Scnat: Vielfalt ist die Quelle des Lebens: Herausforderungen und Handlungsbedarf für die Förderung der Agrobiodiversität

Dafydd Pilling, Julie BĂ©langer and Irene Hoffmann; Declining biodiversity for food and agriculture needs urgent global action